Mätes auf dem Weg nach Santiago
  10. Tag
 

04.08.  Caldas de Reis - Teo  28,7km

Der erste Regen.
So ein privates Zimmer ist auf einer Pilgerreise echter Luxus. Man schläft wie ein Murmeltier, kann sich ohne Ellenbogen anziehen und den Rucksack packen. So sind wir um 6Uhr ganz bequem zum Abmarsch bereit. Stockdunkel ist es Draußen. In den Gassen der Stadt ist das noch kein Problem, hell beleuchtet kommen wir an der Herberge vorbei und sehen eine große Gruppe die sich gerade fertig macht. Unser heutiges Tagesziel soll Padron sein, die Stadt in der Legenden über Jakobus entstanden sind. Dazu aber später mehr. Schnell lassen wir Caldas de Reis hinter uns und die Dunkelheit nimmt uns in Empfang. Die Taschenlampe auf den Boden gerichtet folgen wir dem Lichtkegel. Zu der Dunkelheit kommt eine beruhigende Stille. An Strommasten und Steinen sind die aufgemalten gelben Pfeile gut zu erkennen. Wir gehen so dahin und in einem Moment in dem ich dachte etwas hinter uns gehört zu haben drehe ich mich um und da ist er auch schon einen Meter hinter uns. Ich erschrecke mich dermaßen, sodass ich ein kurzes „Hey“ heraus lasse. Ein zwei Meter Hüne aus der Gruppe von vorhin an der Herberge überholt uns. Wenn er einen Schritt macht, brauchen wir mindestens Zwei. So schnell wie er uns eingeholt hatte, genauso schnell verschwindet er vor uns in der Dunkelheit, und das ohne Taschenlampe! Boah, hab ich mich erschreckt. Durch ein ruhiges und waldreiches Tal gehen wir bis Carracedo und kehren nach 4,9km in eine kleine Bar ein. Café con Leche, Rosalie nimmt schon ihre zweite Ibu weil sie heute besonders starke Schmerzen in der Hüfte plagt, die Pause kommt gerade recht. Ein paar Pilger sind schon da und kurz darauf stürmt die Gruppe des großen Mannes herein und bestellt, nein nein, keinen Kaffee, die Herrschaften stürzen sich auf den auf der Theke liegenden Stempel inklusive des Stempelkissens. Pilgerpass raus, abstempeln, Pilgerpass zurück in den Rucksack und weiter, wie die Wilden. Die Medizin und den Kaffee intus setzen wir unsere Wanderung fort. Kleinere Häuseransammlungen in hügeliger Landschaft. An einem Kindergartenfenster wünschen die Kinder mittels von Innen angeklebten Blättern den Pilgern in einundzwanzig Sprachen eine gute Reise, gracias a los Niños. Es fängt an zu regnen und unsere Ponchos kommen zum ersten Mal in den Genuss und trocken zu halten. Eine herrliche Strecke mit kleineren Steigungen entlang der A9, der Regen verzieht sich in Richtung Küste, so kommen wir Padron immer näher. Mit einem Mal machen stechende Schmerzen in der Hüfte Rosalie schwer zu schaffen. Die dritte Ibu muss herhalten und ein Päuschen im Grünen. Apfel und Mineralwasser, Müsliriegel und Zigarette. Ich bin von unseren Rucksäcken seit Beginn unserer Pilgerreise nicht begeistert, der Sitz gefällt mir gar nicht, die Zusatztasche oberhalb kann man nicht straff verzurren. Nützt alles nichts, das Gewicht muss noch weiter verringert werden. Da ich schon den kompletten Proviant in meinem Rucksack trage bleiben nur noch die Wandersandalen von Lidl, die auch nicht gerade der Bringer sind. Wir gehen mit vielen anderen Pilgern in Karawanenformation durch die Dörfer, Rosalie stellt im Gehen die Treter für Alle gut sichtbar auf einer Mauer ab und geht weiter. Hinter uns kommt eine Gruppe älterer Mütterchen, da rufe ich ganz laut „Offerta, Offerta“, was so viel heißt wie Sonderangebot. Da greift eine Frau nach den Schuhen, begutachtet sie, ich gebe ihr zu verstehen das sie erst wenige Kilometer auf den Sohlen haben und schwupps, da steckt sie die Teile ein. Jeden Tag eine gute Tat, Rosalie hat ihre damit getan. Wir erreichen Pontesecures, eine Vorstadt Padrons. Ein paar wilde Hausschweine weiden ulkigerweise an einem Bahnübergang, ob sie wohl auf den Zug warten? Bei mittlerweile wieder strömenden Regen überqueren wir den Fluss Ulla, so nennt mein Vater meine Mutter Ursula Zuhause. Auf der Mitte der Brücke fällt uns auf das das Wasser auffällig unruhig des ansonsten spiegelglatten Wassers daher fließt. Bei näherem Hinsehen erblicken wir eine andere Gruppe von Pilgern. Hunderttausende Fische schwimmen aus den Bergen kommend flussabwärts in Richtung Meer. Ein Schauspiel das seines Gleichen sucht. So weit das Auge den Fluss in beiden Richtungen folgen kann schlängelt sich der Schwarm in Allerseelen Ruhe weiter zum Atlantik. Wir schauen uns das Treiben einige Minuten lang an, doch kein Ende ist in Sicht. Grandioses Bild, unglaublich. Leider bin ich, oder sind wir, keine Fachleute der einheimischen Fauna aber es könnten tatsächlich Lachse sein die ihre Reise aufs offene Meer begonnen haben, und alle zeitgleich. Wow! Wir verlassen die Vorstadt entlang der Sar, einem kleinem Flüsschen der wenig Wasser führt aber in der Jakobuslegende eine wichtige Rolle spielte. Auf der Avendia de Castelao kommen wir zu einem großen Fischmarkt, darauf folgt eine breite Allee ähnlich der in Ponte de Lima. Sie führt direkt auf die Jakobuskirche zu. Davor steht ein Denkmal das einer berühmten galicischen Bürgerin gewidmet ist. Rosalía de Castro, eine spanische Lyrikerin die in Santiago geboren wurde und in Padron starb. Welch schöne Überraschung, nun hat Rosalie auch ihren Teil der Geschichte und nicht immer nur der heilige St. Martin. Außerdem kam mir die Dame sofort bekannt vor. Sie war nämlich auf den alten 500 Peseten-Scheinen zu sehen . Nun betreten wir die Jakobuskirche. Ein großes Gotteshaus, welches eine besondere Ruhe ausstrahlt. Bis auf eine Frau sind wir alleine. Hinter dem Altar steht der Pedrón, der Stein an dem das Boot am Fluß Sar neben der Kirche festmachte als der Leichnam des heiligen Jakobusses zurück nach Spanien kam. Wir stehen also vor dem Stein, der etwas tiefer in der Erde eingelassen ist, da sieht uns ein Mann der aus einem hinteren Raum des Gebäudes darauf auf uns zu kommt. Er schaltet eine indirekte Beleuchtung in der Senke an, so dass wir nun viel besser die Feinheiten und Monstranzen erkennen können. Auch sehen wir die vielen Münzen die anscheinend von den Pilgern als Spende hinunter geworfen wurden. So werfen auch wir ein paar Euro dazu und als wir die Kirche wieder verlassen geht auch schon das Licht wieder aus. Draußen vor der Tür sehen wir schräg gegenüber die Bodega O Carron, die Zeit für eine Mittagspause scheint uns passend. Rosalie liebt Pimientos, und was liegt da näher als die berühmten originalen „Pimientos de Padron“ in der Stadt deren Namensgeber vor Ort zu probieren. Wir sind uns noch nicht schlüssig ob wir überhaupt hier übernachten wollen und so genießen wir eine Stunde bei Pulpo, Pimientos, Cerveza, Espresso und Tarta de Santiago. Da es noch früh am Tag ist beschließen wir bis nach Teo weiter zu gehen um Morgen die letzten 13,1km nach Santiago als Spaziergang in Angriff zu nehmen. Bevor wir die Stadt wieder verlassen wollen wir noch den Platz besuchen an dem Jakobus seine erste Predigt auf spanischem Boden gehalten hat. Wir überqueren die Brücke über den Sar, in der Siedlung halten wir uns dann rechts und kommen sogleich auch zur Treppe die den Santiaguiño do Monte hoch führt. Nun müssen wir genau 114 Stufen den 260m hohen „Jaköbchen der Berge“ (wörtlich übersetzt) hinauf. Wer in den Genuss der vollen Gnade kommen möchte darf unterwegs keine Pause einlegen. Leider empfangen wir die volle Gnade bei strömenden Regen, doch das ist uns egal. Ein Foto an dem geschichtsträchtigen Ort geschossen und wir steigen vorsichtig über die vom Regenwasser spiegelglatten Granitstufen hinab auf der schon Tausende vor uns gingen. Der Weg aus der Stadt heraus ist wie immer nicht prickelnd. Der Camino hält sich entlang der an diesem Tag sehr stark befahrenen N550 die in Padron den schönen Straßennamen Avenida Compostela trägt. Mal gehen wir weg von der Straße durch eine Siedlung, dann wieder sollen wir links herunter über Feldwege gehen. Das Spiel kennen wir von Gestern, ein Blick auf die Landkarte im Outdoor-Führer und wir entschließen uns lieber der Nationalstraße entlang auf dem Seitenstreifen zu laufen. Auch wenn uns hunderte LKW´s und andere Fahrzeuge entgegen kommen und die Regengischt unser Gesicht reizt, teilweise ist mehr als drei Meter Platz zur Straße, also ziemlich ungefährlich. Rosalie hält sich tapfer und nach kurzer Zeit habe wir 6km bis zur Kirche Santuário de A Escravitude, die schon sehr dem Baustil der Kathedrale in Santiago gleicht, hinter uns gebracht. Nun gehen wir rechts in die Landschaft hinein. Ein schmuckes Dorf namens Cruces welches an einem Hang liegt durchqueren wir ohne andere Pilger zu sehen, und das hat auch seinen Grund. Als wir an einem offenen Küchenfenster vorbei gehen sehe ich aus den Augenwinkeln eine Großfamilie am Mittagstisch sitzen. Die Oma sieht uns und spricht sogleich ein Familienmitglied an, „da gehen Pilger gerade den falschen Weg, schnell raus und weise ihnen die richtige Straße nach Santiago“! Keine fünf Sekunden später ruft uns eine Frau hinterher dass wir doch hier falsch sind und zwei Straßen vorher den gelben Pfeil übersehen haben müssen. Mit einem „Muchas Gracias Señora“ bedanken wir uns artig und ein „Buen Camino“ kommt postwendend zurück. Nach der schönen Umgebung müssen wir nun noch ein Stück an der Nationalstraße entlang, dann verlassen wir den Lärm und gehen nach Teo hinein. Teo ist eigentlich kein Ort, eher eine große Gemeinde und umfasst viele kleine Dörfer mit insgesamt 17.000 Einwohnern. So langsam sehnen wir uns das Ziel herbei, 28km bei schlechtem Wetter sind eindeutig genug. Im Nest Rùa de Francos erreichen wir unser Domizil für Heute. Von außen sehr modern, aber schlicht. Mit 26 Betten eine mittelgroße Herberge. Im Erdgeschoss tummelt sich die Gruppe vom Morgen in Caldas de Reis. Ein Pilger gibt uns zu verstehen dass alle Betten besetzt sind. Rosalie geht heute keinen Meter weiter, irgendwie müssen wir hier schlafen. In einer Kammer entdecken wir drei lose Matratzen von denen wir uns Zwei sichern wollen, da kommt eine ältere Dame aus der Gruppe, es sind Portugiesen, und fängt einen kleinen Disput mit uns an. Wir verstehen kein Wort, da stellt sich heraus das eine junge Frau aus Italien stammt und sich der Gruppe vor Tagen angeschlossen hatte und vermittelt nun auf Englisch. Die Pilgergruppe kommt geschlossen aus einem Dorf in Portugal, sie sind also von Daheim gestartet und die Matratzen sollen für die ältere Generation herhalten. Der Hospitalero kommt gegen 17Uhr und dann werden Alle weiter sehen. Im Obergeschoss schlafen alle 26 vor uns angekommenen Pilger und wir und die 12er Gruppe müssen nun warten. Die Zwischenzeit nutzen wir indem wir duschen und unsere Rucksäcke an einem freien Platz unter der Treppe platzieren, für alle Fälle. Der Hospitalero kommt pünktlich, ein junger Portugiese erklärt ihm die Lage seiner Gruppe und sogleich schließt er einen zusätzlichen Raum auf. In den neuen Herbergen ist es Gesetz das für Behinderte, auch wenn sie spät ankommen, noch ein separater Raum zur Verfügung stehen muss. Im Raum stehen zwei Etagenbetten und an der Wand lehnen zusätzlich 4 lose Matratzen. Zusammen mit den drei anderen Matratzen sind nun schon elf Leute untergebracht. Doch zuerst zu Anmelden. Ein Pilger nach dem Anderen legt seinen Personalausweis und den Credencial vor. Der Mann ist die Ruhe selbst, überaus sympathisch lässt er sich genügend Zeit und kassiert von Jedem 5€. Wie es unsere Erziehung gebietet drängeln wir uns nicht vor. Als der zehnte Pilger fertig ist setzen wir uns an den Tisch und der Mann fängt an zu schreiben. In diesem Moment kommt einer der Portugiesen, ein bärtiger Mann um die 40, und erklärt das wir, Rosalie und ich, nicht zu der Gruppe gehören und die Matratzen zuerst unter seinen Landsleuten verteilt werden sollen. Er hatte wohl nicht damit gerechnet dass ich ihn ebenso verstehe und so weicht er auch schnell meinem bösen Blick aus. Wo ist denn hier die christliche Nächstenliebe? Ars……..h! Der Hospitalero schaut uns arme Sünder an, mustert unsere harten Plätze unter der Treppe, schüttelt den Kopf, womit er uns zu verstehen gibt das der Platz unter der Treppe kein geeignetes Nachtlager ist und sagt in einer unheimlichen Ruhe „no hay problema“. Er schlägt uns den Platz neben dem Tisch vor, allerdings ohne Matratze. Der Portugiese wendet sich ab. Pilgerfreunde aus Mailand, die schon Oben ein Bett ergattern konnten leihen Rosalie eine Iso-Matte, na immerhin. Zum Abend gehen wir die Hauptstraße durch die Siedlung und kommen zu einer Raststätte die an der N550 liegt. Ein uriges Etablissement, sehr lauter Fernseher, Fernfahrer und einzelne Männer an der Theke. Eine super leckere Kohlsuppe, dazu viel Brot und Cerveza und Bacardi/Cola für Rosalie wärmen unsere Knochen vom anstrengenden Tag. Auf dem Rückweg kehren wir noch in einen Mini-Mini-Supermarkt ein der zusätzlich noch drei Tische zum Verweilen in einem kleinen Raum von höchstens 40qm hat. Hier geben wir uns die nötige Bettschwere, der harte Boden einer spanischen Albergue wartet auf uns. Bacardi und Gin im Körper lassen uns von Santiago träumen.



Ein galicischer Kornspeicher, Horreo, am Morgen.


Die netten Grüße der Kinder aus einem Kindergarten.


Bis Padron praktisch kein Asphalt, nur Naturwege.


Die gleiche Schnecke hatte ich letztes Jahr schon einmal getroffen, hinter Pamplona


Wandersandalen im Sonderangebot.


Demnächst hier: "Schnitzel aus Freilandhaltung".


Fluss mit dem Rufnamen meiner Mutter.


Pilger auf dem Camino Atlantico...


...ein tolles Naturschauspiel. Wahrscheinlich nur an einem Tag im Jahr zu sehen wenn die Fische sich wie verabredet auf den langen Weg zum offenen Meer machen.


Flußaufwärts wie abwärts war dieser riesige Schwarm zu sehen. Sehr beeindruckend. Ein Königreich für einen Köcher :-)


Die Allee bevor wir die Jakobuskirche erreichen.


Niedrigwasser im Fluß Sar. An der Brücke wurde das Boot festgemacht mit dem Jakobus tot zurück nach Spanien gebracht wurde.


Rosalie van Rotterdam und Rosalia de Galicia.


Rosalia ist ebenfalls die Schutzpatronin von Uruguay.


Gemälde in der Jakobuskirche mit dem toten Apostel. Links der Pedron.


Immer wieder ist Jakobus als Mata Mauro, der Maurentöter dargestellt.


Drei schöne Kerzenständer mit den Insignien Muschel und Kreuz des Jakobusses.


In dieser urigen Bodega machten wir unsere Mittagspause mit...


...den originalen Pimientos de Padron. Butterweich, heiß serviert, mit groben Meersalz gewürzt, fantastisch. Und Rosalie hat endlich die ersten Pimientos unserer Reise. Nicht zu vergessen der ebenfalls hauchzarte Pulpo. Tapas vom Feinsten und sehr günstig.


Hinüber auf die andere Seite um zum ersten Predigtort des Apostels auf spanischem Boden zu gelangen.


Natürlich ohne Pause die Stufen hinauf, es waren ja nur 114 Stück. Im Dom sind es 533............


Zwei Missionare auf dem Santuaguiño do Monte. Der Mätes und...


...die Rosalie.


Unser ständiger Begleiter war die Nationalstraße 550. Nur noch 17km bis zum Ziel.


Wusste gar nicht das Rosi hier eine Werkstatt besitzt.


Die Kirche Santuário de A Escravitude im gleichen Baustil wie die Kathedrale von Santiago.


Stark verwittert im Detail.


Der Regen hatte aufgehört.


Kleinere Dörfer und hügeliges Gelände.


Keine Menschenseele weit und breit in den Dörfern.


Kurz vor Teo...


...und endlich an der Herberge angekommen.


Modernes, neues Gebäude für 26 Pilger.


Rechts der freundliche Hospitalero bei der Anmeldung der Pilger.


Bitte warten.............


War leider nicht geöffnet, die Kapelle Sankt Martin.


Unser harte Schlafplatz auf dem Boden im Gemeinschaftsraum mit offener Küche.

 
   
 
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